Wernigerode im Jahr 1933

  • Am 30. Januar beauftragt der deutsche Reichspräsident, Paul von Hindenburg, den Führer der faschistischen NSDAP, Adolf Hitler, mit der Regierungsbildung. Die später von den Nationalsozialisten so bezeichnete "Machtergreifung" wird zunächst auch von der großen Mehrheit der Wernigeröder euphorisch bejubelt. Mit der Machtergreifung beginnt auch für die Bunte Stadt am Harz eines der finstersten Kapitel ihrer Geschichte. Die Wahl im März zur Stadtverordnetenversammlung ergab folgendes Ergebnis:16 NSDAP-Mitglieder, 4 DNVP, 7 SPD und 1 KPD.

  • 5. März: Bei den Reichstagswahlen im Landkreis erhalten bei einer Wahlbeteiligung von 91,2% die NSDAP 26.705 Stimmen. Das sind 55,9%. Bei den anderen Parteien entfallen auf die SPD 23,5%, die DNVP 10,3% und auf die KPD 7,5% der Stimmen.

  • Am 28. März, also zwei Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, ernennt der Stadtrat unter "Sieg-Heil"-Rufen Adolf Hitler einstimmig zum Ehrenbürger.

  • Ulrich von Fresenius (NSDAP, geb. am 01. September 1888) wird Bürgermeister und bekleidet das Amt bis 20. April 1945.

    Der Zweite Bürgermeister, Hermann Reichardt (SPD), stellt nach der Machtergreifung von sich aus sein Amt zur Verfügung.

  • Nach der Entmachtung des "Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes" (ADGB) werden die Mitglieder, inklusive der Häuser und das Vermögens der Gewerkschaften, durch die neu gegründete "Deutsche Arbeitsfront" übernommen.

    "Reichspropaganda-Minister" Joseph Goebbels verschleiert die Entmachtung durch ein Meisterstück seiner Propaganda. Der traditionelle Kampftag der Arbeiterbewegung, der 1. Mai, wird als "Tag der nationalen Arbeit" zum gesetzlichen Feiertag erklärt und in großen Massenveranstaltungen begangen, in denen faschistische Funktionäre die "Volksgemeinschaft" beschwören.

  • Nachdem die Nationalsozialisten am 19. Mai in Berlin unter dem Jubel Tausender die erste Bücherverbrennung inszeniert hatten, brannten im gesamten Reich, besonders in den Universitätsstädten, die Werke international und national bekannter deutscher Schriftsteller.

    Auch Wernigerode war davon vermutlich betroffen. Es existiert jedoch nur ein Foto. In den lokalen Zeitungen gibt es keine Hinweise. In den Universitätsstädten ging die Bücherverbrennung zur gleichen Zeit mit einer propagandistischen Hetze gegen "jüdische, kommunistische und volksfeindliche Autoren" in der Presse einher.

Naziaufmarsch 1933 auf dem Marktplatz - Bücherverbrennung?
- Fotothek Harzbücherei Wernigerode
Naziaufmarsch 1933 auf dem Marktplatz - Bücherverbrennung? - Fotothek Harzbücherei Wernigerode
  • "Reichsinnenminister" Frick erklärt am 22. Juni die SPD zur "volks- und staatsfeindlichen Organisation".
    Bereits in den ersten Monaten nach der Wahl sind die Abgeordneten der SPD und der KPD auch in Wernigerode fortwährender Verfolgung und dem Terror der braunen Machthaber ausgesetzt und ihr Widerstand wird gebrochen. Führende 81 SPD-Mitglieder werden am 24. Juni verhaftet, durch die Straßen getrieben und in der Turnhalle der SA-Führerschule in der Ilsenburger Straße mißhandelt. Später wird dieses Vorgehen als "Schandmarsch" bezeichnet. Zu den misshandelten SPD-Mitgliedern gehören u.a. der langjährige Zweite Bürgermeister und Gewerkschaftssekretär Herrmann Paul Reichardt, der Fraktionsvorsitzende der SPD Otto Goedecke sowie der Gewerkschaftsvorsitzende Max Otto.

    Durch besonderen Sadismus zeichneten sich die Wernigeröder SA-Leute Erich Göbel und Georg Baetge aus.

    Volksstimme - 1. und 3. Juli 2013 / Beitrag von Ralf Mattern "Der Schandmarsch"
Verhaftung von Funktionären der SPD 1933
- Dieter Oemler
Verhaftung von Funktionären der SPD 1933 - Dieter Oemler
  • Der größte Teil der Bevölkerung arrangiert sich mit der neuen politischen Konstellation. Viele profitieren von der sich abzeichnenden langsamen wirtschaftlichen Erholung.
    Die Nazifizierung des gesamten öffentlichen Lebens schreitet auch in Wernigerode schnell voran. Die von der NSDAP organisierte "Gleichschaltung" geht besonders auch in der Harzregion mit einer "Selbstgleichschaltung von unten" einher. Viele Vereine, verantwortliche Vertreter medizinischer und kultureller Einrichtungen biedern sich den neuen Machthabern vorauseilend an.

Arbeiterdelegierte besuchen den Führer
- Photothek Harzbücherei Wernigerode
Arbeiterdelegierte besuchen den Führer - Photothek Harzbücherei Wernigerode
  • Der Bau der Zillierbachtalsperre als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beginnt in Verantwortung der Provinzialverwaltung. Mehr als 400 vorher langjährig arbeitslose Bürger werden gleichzeitig bei diesem Projekt beschäftigt.

Bau der Zillierbach - Talsperre als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
- Dieter Oemler
Bau der Zillierbach - Talsperre als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme - Dieter Oemler
  • Der Bankverein (heute Vereinigte Volksbank) beginnt seinen Geschäftsbetrieb in der Burgstraße 1a.

  • Böttchermeister Heinrich Oppermann, Schöne Ecke 26, fertigt 15 Bierfässer für die "Hasseröder Bierbrauerei" als einen seiner letzten Großaufträge.

Böttchermeister Heinrich Oppermann 1933
- Gerhard Bombös
Böttchermeister Heinrich Oppermann 1933 - Gerhard Bombös
  • Der Landkreis Wernigerode gehört ab 1933 bis 1945 zum Gau Magdeburg-Anhalt. Im Landkreis wohnen 75.047 Einwohner (davon 71.521 Evangelische, 2.468 Katholiken und 33 Juden).

Blick über das Schloss hinweg in das nördliche Vorland
© Wolfgang Grothe
Blick über das Schloss hinweg in das nördliche Vorland © Wolfgang Grothe
  • Durch die Machtübernahme durch die NSDAP ändern sich die Besitzverhältnisse des Gesellschaftshauses der Gewerkschaften im Salzbergtal erneut. Nach Zerschlagung der freien Gewerkschaften dient es der Deutschen Arbeitsfront Gau Magdeburg-Anhalt als "Erholungsheim Westerntor".

  • Die Stadt Wernigerode hat 23.296 Einwohner, davon 22.364 Evangelische, 535 Katholiken, 3 sonstige Christen und 16 Juden.

Blick auf den Marktplatz um 1934
- Willi Pragher
Blick auf den Marktplatz um 1934 - Willi Pragher
  • Die so genannte "Gleichschaltung", wie die Einordnung aller bestehenden Einrichtungen und Verbände unter dem Einfluss und der Kontrolle der NSDAP genannt wird, beherrscht das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben auch in Wernigerode.
    Die NSDAP-Führung hat sich in Wernigerode etwas Besonderes ausgedacht, um jede oppositionelle Tätigkeit zu kriminalisieren. Darüber schreiben die "Hallischen Nachrichten" am 19. Juni:
    "Wernigerode hat sich ein Erziehungsmittel geschaffen, daß an längst vergangene Zeiten erinnert, von dem man sich aber eine gute Wirkung verspricht. Es ist dies ein Schandpfahl, der der Bevölkerung auf dem Marktplatz von der SA vorgeführt wurde. Truppführer Schlierstedt erläuterte den Zweck dieser Einrichtung dahin, daß der Pfahl jeweils einen Tag lang für diejenigen Einwohner auf dem Marktplatz stehen werde, die sich einer Verächtlichmachung des Kanzlers, der Regierung oder irgendwelcher allgemein störender und schadender Äußerungen und Handlungen schuldig machen."

Schandpfahl
- Phototkek Harzbüchere Wernigerodei
Schandpfahl - Phototkek Harzbüchere Wernigerodei
  • Für den Gründer und Ehrenmitglied des Harzclubs Conrad Huch (1850-1931) wird im Tal der Steinernen Renne am "Silbernen Mann" ein Denkmal aufgestellt. Entwurf und Ausführung der Plakette von Hans Bülow.

"Hotel Reichshof"
- Dieter Oemler
"Hotel Reichshof" - Dieter Oemler
  • Dem 1919 gegründeten "Verein für Kunst und Wissenschaft" wird am 3. September von Bürgermeister von Fresenius mitgeteilt, dass er sich aufzulösen habe, da von nun an alle kulturelle Arbeit an Theater, Konzert, Vortrag und Museum vom "Kampfbund für deutsche Kultur" geleistet und geleitet würde.

  • Jährlich legt die Verwaltung des Kreiskrankenhauses dem Kreistag einen Jahresbericht über die Entwicklung der Krankenzahlen, der durchschnittlichen Pflegetage, der Behandlungen und der technischen Einrichtungen vor. Erstmalig 1933 wird Bezug genommen auf die Einstellung des Personals zur politischen Entwicklung: "Wir freuten uns alle, zum Tage von Potsdam zwei große Fahnenstangen vor dem Krankenhaus errichten zu können, an denen endlich wieder die alten Farben des Reiches schwarz-weiß-rot und das neue Symbol des Reiches, die Hakenkreuzflagge gezeigt werden konnten".

Kreis-Krankenhaus
- Stadtarchiv Wernigerode
Kreis-Krankenhaus - Stadtarchiv Wernigerode
  • DerSportverein "FC Germania Wernigerode" fusioniert mit dem "FC Victoria 1910" zum "VfL Germania 1910 Wernigerode".

  • Am 31. Dezember hat Wernigerode 24 397 Einwohner. Das sind 254 mehr als zwölf Monate zuvor.