Wernigerode im Jahr 1933
Am 30. Januar beauftragt der deutsche Reichspräsident, Paul von Hindenburg, den Führer der faschistischen NSDAP, Adolf Hitler, mit der Regierungsbildung. Die später von den Nationalsozialisten so bezeichnete "Machtergreifung" wird zunächst auch von der großen Mehrheit der Wernigeröder euphorisch bejubelt. Mit der Machtergreifung beginnt auch für die Bunte Stadt am Harz eines der finstersten Kapitel ihrer Geschichte. Die Wahl im März zur Stadtverordnetenversammlung ergab folgendes Ergebnis:16 NSDAP-Mitglieder, 4 DNVP, 7 SPD und 1 KPD.
Nach der Entmachtung des "Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes" (ADGB) werden die Mitglieder, inklusive der Häuser und das Vermögens der Gewerkschaften, durch die neu gegründete "Deutsche Arbeitsfront" übernommen.
"Reichspropaganda-Minister" Joseph Goebbels verschleiert die Entmachtung durch ein Meisterstück seiner Propaganda. Der traditionelle Kampftag der Arbeiterbewegung, der 1. Mai, wird als "Tag der nationalen Arbeit" zum gesetzlichen Feiertag erklärt und in großen Massenveranstaltungen begangen, in denen faschistische Funktionäre die "Volksgemeinschaft" beschwören.
Nachdem die Nationalsozialisten am 19. Mai in Berlin unter dem Jubel Tausender die erste Bücherverbrennung inszeniert hatten, brannten im gesamten Reich, besonders in den Universitätsstädten, die Werke international und national bekannter deutscher Schriftsteller.
Auch Wernigerode war davon vermutlich betroffen. Es existiert jedoch nur ein Foto. In den lokalen Zeitungen gibt es keine Hinweise. In den Universitätsstädten ging die Bücherverbrennung zur gleichen Zeit mit einer propagandistischen Hetze gegen "jüdische, kommunistische und volksfeindliche Autoren" in der Presse einher.
"Reichsinnenminister" Frick erklärt am 22. Juni die SPD zur "volks- und staatsfeindlichen Organisation".
Bereits in den ersten Monaten nach der Wahl sind die Abgeordneten der SPD und der KPD auch in Wernigerode fortwährender Verfolgung und dem Terror der braunen Machthaber ausgesetzt und ihr Widerstand wird gebrochen. Führende 81 SPD-Mitglieder werden am 24. Juni verhaftet, durch die Straßen getrieben und in der Turnhalle der SA-Führerschule in der Ilsenburger Straße mißhandelt. Später wird dieses Vorgehen als "Schandmarsch" bezeichnet. Zu den misshandelten SPD-Mitgliedern gehören u.a. der langjährige Zweite Bürgermeister und Gewerkschaftssekretär Herrmann Paul Reichardt, der Fraktionsvorsitzende der SPD Otto Goedecke sowie der Gewerkschaftsvorsitzende Max Otto.Durch besonderen Sadismus zeichneten sich die Wernigeröder SA-Leute Erich Göbel und Georg Baetge aus.
Volksstimme - 1. und 3. Juli 2013 / Beitrag von Ralf Mattern "Der Schandmarsch"
Der größte Teil der Bevölkerung arrangiert sich mit der neuen politischen Konstellation. Viele profitieren von der sich abzeichnenden langsamen wirtschaftlichen Erholung.
Die Nazifizierung des gesamten öffentlichen Lebens schreitet auch in Wernigerode schnell voran. Die von der NSDAP organisierte "Gleichschaltung" geht besonders auch in der Harzregion mit einer "Selbstgleichschaltung von unten" einher. Viele Vereine, verantwortliche Vertreter medizinischer und kultureller Einrichtungen biedern sich den neuen Machthabern vorauseilend an.
Bald nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten spaltet sich die "Evangelische Kirche" in die sogenannten Deutschen Christen, organisiert in der "Deutschen Evangelischen Kirche" DEK, die sich gleichschalten lassen, und die "Bekennende Kirche" BK. Die Christen in der BK betrachten die Nazi-Ideologie als nicht vereinbar mit dem christlichen Glauben.
Die in Wernigerode tätigen Pastoren zählen mehrheitlich zu den Deutschen Christen und sind überzeugte Nazis.
Böttchermeister Heinrich Oppermann, Schöne Ecke 26, fertigt 15 Bierfässer für die "Hasseröder Bierbrauerei" als einen seiner letzten Großaufträge.
Wernigeröder Zeitung und Intelligenzblatt - Nummer 214 - Juni 1988
Die so genannte "Gleichschaltung", wie die Einordnung aller bestehenden Einrichtungen und Verbände unter dem Einfluss und der Kontrolle der NSDAP genannt wird, beherrscht das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben auch in Wernigerode.
Die NSDAP-Führung hat sich in Wernigerode etwas Besonderes ausgedacht, um jede oppositionelle Tätigkeit zu kriminalisieren. Darüber schreiben die "Hallischen Nachrichten" am 19. Juni:
"Wernigerode hat sich ein Erziehungsmittel geschaffen, daß an längst vergangene Zeiten erinnert, von dem man sich aber eine gute Wirkung verspricht. Es ist dies ein Schandpfahl, der der Bevölkerung auf dem Marktplatz von der SA vorgeführt wurde. Truppführer Schlierstedt erläuterte den Zweck dieser Einrichtung dahin, daß der Pfahl jeweils einen Tag lang für diejenigen Einwohner auf dem Marktplatz stehen werde, die sich einer Verächtlichmachung des Kanzlers, der Regierung oder irgendwelcher allgemein störender und schadender Äußerungen und Handlungen schuldig machen."
Jährlich legt die Verwaltung des Kreiskrankenhauses dem Kreistag einen Jahresbericht über die Entwicklung der Krankenzahlen, der durchschnittlichen Pflegetage, der Behandlungen und der technischen Einrichtungen vor. Erstmalig 1933 wird Bezug genommen auf die Einstellung des Personals zur politischen Entwicklung: "Wir freuten uns alle, zum Tage von Potsdam zwei große Fahnenstangen vor dem Krankenhaus errichten zu können, an denen endlich wieder die alten Farben des Reiches schwarz-weiß-rot und das neue Symbol des Reiches, die Hakenkreuzflagge gezeigt werden konnten".
Am 17. Oktober verurteilt das Schöffengericht in einem Verfahren im Amtsgericht Wernigerode acht Kommunisten aus Wernigerode und Ilsenburg zu Zuchthausstrafen zwischen einem und anderthalb Jahren.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, "bis September 1933 den organisatorischen Zusammenhalt einer anderen politischen Partei als der NSDAP aufrecht erhalten zu haben", indem sie für die verbotene KPD Mitgliedsbeiträge kassiert, bzw. gezahlt hatten.