Wernigerode im Jahr 1917
Ab 15. Januar wird für Wernigerode die Kartoffelration vermindert und eine möglichst starke Heranziehung der Kohlrüben bleibt unausweichlich. "Preußen hat die Anordnung herausgegeben, dass überall da, wo genügend Kohlrüben vorhanden sind, die Wochenkopfmenge auf drei Pfund Kartoffeln herabgesetzt wird".
Die Goldankaufstelle des Kreises hat im Monat Januar an fünf Aufkaufstagen 2.672,85 Mark Goldsachen angekauft. Der Gesamtankauf seit Eröffnung bis Ende Januar beläuft sich nun auf 50.475,25 Mark.
"Jeder Mann und jede Frau, die sich bisher von ihrem Goldschmuck nicht trennen konnte, sollte bedenken, dass es eine Ehrenpflicht ist, alles Gold jetzt in den Dienst für das Vaterland zu stellen."
"Gold gab ich zur Wehr - Eisen nahm ich zur Ehr!"
Im "Wernigeröder Tageblatt" wird eine ab 1. März in Kraft gesetzte Bekanntmachung veröffentlicht, nach der zur Deckung des Bedarfs in der Rüstungsindustrie Bronzeglocken aus den Kirchen freiwillig abgeliefert werden können. Die Bekanntmachung sieht auch die Beschlagnahmung, Enteignung und Einziehen von Bronzeglocken vor.
Am 8. März findet in Wernigerode eine "Nachmusterung von dienstunbrauchbaren Unteroffizieren und gedienten Mannschaften sowie die 1882 und später geborenen Ersatzreservisten", statt, "welche während des Krieges als dauernd dienstunbrauchbar erklärt sind". Die fraglichen Personen haben sich persönlich oder schriftlich unter Vorlegung ihrer Militärpapiere bei ihrer Kontrollstelle im Bezirkskommando zu melden.
Am 8. April ruft das "Wernigeröder Tageblatt" die Wernigeröder auf, die "VI. Kriegsanleihe" zu zeichnen.
"Hilf, zum vollen Sieg, zum ehrenvollen Friede, zur baldigen Heimkehr unserer Truppen beizutragen.
Alle, Deine Angehörigen, Deine Verwandten, Deine Nachbarn müssen helfen!
Zeichne Kriegsanleihe, dann warst auch Du dabei, als die Entscheidung erzwungen wurde. Wie bei den Wahlen auf jede Stimme, so kommt es bei dieser Kriegsanleihe auf jede Mark an."
Ab 20. Juli erhält jeder Einwohner 350 g Fleisch und 50 g Wurst pro Woche. Erstmalig werden Frühkartoffen verkauft, jeder einmalig 500 g.
Die Wochenzuteilungen werden wöchentlich neu festgelegt und auf Lebensmittelkarten verkauft. Immer wieder kommt es zu Klagen von Einwohnern, dass auf dem Wochenmarkt "Fremde" einkaufen, die dann die gekauften Waren per Post in ihre Heimatorte senden.
Den Wernigerödern stehen dann die auf den Karten stehenden Mengen nicht mehr in der festgelegten Höhe zur Verfügung.
Am 25. Juli findet, organisiert von der SPD, im Saale des "Hotel Monopol" eine stark besuchte öffentliche "Volksversammlung" statt.
Eröffnet wurde die Versammlung durch den Stadtverordneten der SPD Niewerth mit dem Hinweis, "dass seit der letzten Versammlung zahlreiche Genossen im Kampf fürs Vaterland gefallen sind, deren Andenken durch Erheben von den Plätzen geehrt wurde".
Hauptredner war der Reichstagsabgeordnete Alwin Brandes (SPD), der den Zuhörern die politische und militärische Situation erörterte. Er unterstrich die Notwendigkeit, alles zu tun, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.
Der Stadtverordnete Maybach begrüßte unter Beifall die Rede: "Heer und Volk haben in Bezug auf die Ernährung Hervorragendes geleistet. Wir haben die Engländer als unseren schwersten Feind bezeichnet, haben aber einen viel schwereren Feind im Lande, die Lebensmittelwucherer".
Am 1. September veröffentlicht das "Wernigeröder Tageblatt" eine ganzseitige Bekanntmachung der Armee mit einer Warnung an die Bevölkerung, um sie "von den verhängnisvollen Folgen der landesverräterischen Machenschaften von mit feindlichem Gelde bestochenen Agenten zu bewahren".
Es wird darauf verwiesen, dass Kriegsverrat und Landesverrat mit Zuchthaus und unter Umständen mit dem Tode bestraft wird.
Am 31. Oktober wird hinter dem ehemaligen Kloster Himmelpforte der "von Se. Durchlaucht dem Fürsten gestiftete Luther-Gedenkstein eingeweiht" und persönlich enthüllt.
Der Fürst führt in seiner Rede in etwa aus: Er habe hier oben auf der hohen Warte, auf althistorischem Boden, wo vor 400 Jahren D. Martin Luther eingekehrt sei, um sich mit seinem Mitarbeiter Staupitz zu beraten, im Jubeljahre der Reformation einen Gedenkstein zu errichten entschlossen. Damals, unter der Regierung seines Vorfahren, des Grafen Botho des Glückseligen, der der Reformation größtes Verständnis entgegengebracht habe, sei die Grafschaft Wernigerode Fels und Hort der evangelischen Kirche geworden und da sei es unsererseits Pflicht, das Gedenken an die Reformation zu begehen.
"Und wenn die Welt voll Teufel wär!" habe Luther gesungen und sich seiner Feinde gewehrt. Auch heute habe sich eine Welt von Feinden gegen uns verbunden, um uns zu vernichten. Es werde ihnen nicht gelingen.
Am 31. Oktober wird von den evangelischen Christen im Gedenken an die Reformation der Kirche durch Martin Luther der Reformationstag gefeiert. Genau vor 400 Jahren soll der Überlieferung nach der Mönch Martin Luther am Abend vor Allerheiligen 1517 an der Tür der Schlosskirche in Wittenberg 95 Thesen in lateinischer Sprache zu Ablass und Buße angeschlagen haben.
Dieses Jubiläum ist auch in Wernigerode Anlass, die Verdienste Luthers in Vorträgen in Kirchen, Gymnasium und in konservativen und nationalen Vereinen zu würdigen. Im Gymnasium hält der Rektor vor Lehrerkollegium und Schülern einen Vortrag zum Thema: "Luthers Erbe an das deutsche Volk". Nicht nur bei diesem Vortrag, sondern tendenziell wird Luther als "Glaubensheld" und "deutscher Mann" glorifiziert. "Sein ganzes Leben war durch und durch deutsch" oder "An Luthers Wesen wird und muss die Welt genesen" sind Kernsätze nahezu aller Vorträge.
Am 13. Dezember wird in Wernigerode die Ortsgruppe der Deutschen Vaterlandspartei gegründet. Die stark besuchte Versammlung wurde von Herrn Karl Holfelder eröffnet.
Die Deutsche Vaterländische Partei (DVLP) ist die erste rechtsradikale Partei in Deutschland, die Elemente konservativer, extrem-nationalistischer, antisemitischer und völkischer Ideologen aufgreift.