Wernigerode im Jahr 1916
Wernigerode wird Filmstadt. Das "Wernigeröder Tageblatt" schreibt am 26. September: "Die Filmaufnahmen der Oper ´Martha´ haben heute mit der Marktszene begonnen. Unser Markt hatte dazu ein festliches Gewand angelegt und die mitwirkenden Personen (Ratsherren, Landsknechte, Bürger und Bürgerinnen) in ihrer malerischen Pracht gaben ihm ein anmutiges Gepräge. Viele Zuschauer verfolgten die Szene mit lebhaftem Interesse. Die übrigen Szenen im Christianental und im Lustgarten werden im Laufe dieser Woche aufgenommen".
Am 16. Februar informiert die Schulaufsicht in Wernigerode die Öffentlichkeit über die Folgen der mangelhaften kriegsbedingten Ernährung der Kinder. Bei Schuluntersuchungen sei bei der Mehrheit der Kinder eine Gewichtseinbuße ermittelt worden. Die Behörde weist auf die Gefahren für die Schädigung der Gesundheit und die Leistungsfähigkeit hin. Viele Eltern sind objektiv nicht in der Lage, ihre Kinder gesund zu ernähren. Deshalb soll die Schulspeisung ausgebaut werden.
Am 31. März findet in der Aula der Knaben-Mittelschule eine Versammlung "der Bezirksdamen und Gemeindehelferinnen" statt. Stadtrat Schneider bezeichnet als den Zweck aller Maßnahmen die ausreichende Unterstützung der Kriegerfamilien. Es sei "eine soziale Pflicht für uns alle..., alle Bedürftigen nach Möglichkeit zu unterstützen, damit die Frauen nicht in die Lage kommen, ihren Männern im Felde Klagen über Not zu schreiben". Dies würde sich wieder hemmend auf ihre Tatkraft auswirken.
Am 2. September wird die Schuljugend aus den Wernigeröder Schulen zum Lustgarten zusammengeführt, um den "Sedan-tag" mit einer Andacht zu begehen. Superintendent Falke "ermahnt die Mädchen und Jungen zur Treue und zum Gehorsam gegen Eltern und Lehrer, zum Beten für unser Vaterland, unseren Kaiser, unsere Heerführer und unsere tapferen Krieger".
"Seine Durchlaucht Fürst Christian Ernst" feiert am 28. September während eines Fronturlaubs in Wernigerode seinen 53. Geburtstag. "An diesem Tag zeigt sich allenthalben in der Grafschaft durch herzliche Anteilnahme die Verbindung zu unserem Fürsten [...] Möge auch fernerhin das Fürstenhaus gesegnet bleiben".
Am 10. Oktober stirbt Malermeister Albert Bartels, Mitbegründer und erster Vorsitzender des SPD-Ortsvereins in Wernigerode.
"Mit ihm ist eine führende Persönlichkeit aus dem öffentlichen Leben unserer Stadt geschieden. Er verdankte diese Stellung seinem rastlosen Fleisse, seiner glühenden Liebe zu der Sache, die er vertrat, und der massvollen Art in der er sie vertrat.
Auch seine Gegner haben ihm deshalb die persönliche Achtung nie versagen können.
In der Stadtverordneten-Versammlung, der er seit dem 1. Januar 1898 ununterbrochen angehört hat, war er der Eifrigsten einer. Pflichttreu und streng gegen sich selbst wie gegen andere waltete er seines Amtes. Seine reichen Erfahrungen und sein selbstloses Arbeiten werden die Lücke, die der Tod hier gerissen hat, noch oft schmerzlich empfinden lassen und das Andenken an den wackeren Mann wach halten". (Nachruf des Magistrats vom 11.10.1916)
Die Sorge um das Leben und die Gesundheit ihrer Männer und Söhne an den Fronten des Krieges und die Probleme mit der Versorgung sind die Ursachen der beginnenden Kriegsmüdigkeit auch der Wernigeröder. Um dem entgegen zu wirken, nutzt die Verwaltung viele soziale und kulturelle Möglichkeiten, wie patriotische Konzerte, die verstärkt genutzt werden.
Am 5. Dezember lädt der "Kaufmännische Verein" alle Mitglieder zu einer Aussprache ein und begrüßt den Landrat von Storch, der eine Einschätzung zur Lebensmittelversorgung von Wernigerode vorträgt. Die Versorgung wird immer komplizierter, wobei die Kartoffelfrage eine der schwierigsten ist. Selbst Bezugsscheine können nicht eingelöst werden.