Wernigerode im Jahr 1989

  • Im Wernigeröder Kreiskulturhaus findet am 28. Oktober eine „Liedersession“  mit Künstlern aus der Harzstadt statt.
    Neben den Liedermachern Wolf-Dieter Skibba aus Blankenburg, "Hardam & Spormann", der „Stepphuhn AG“, dem Interpreten Friedmar Quast und der Folkband „Bergfolk“  haben die die Veranstaltung organisierenden Harald Kruft und Rainer Hochmuth auch die zu jenem Zeitpunkt verbotene Rockband „Flexibel“  (später „AufBruch“) eingeladen.
    Die „Volksstimme“  schrieb, dass damit das Auftrittsverbot der Band nun kein Thema mehr sein dürfte.

Otto Büchting in den 1940er Jahren
- Harzer Volksstimme
Otto Büchting in den 1940er Jahren - Harzer Volksstimme
  • Am 18. September wollen Studenten des "Katechetischen Seminars", wie Cristina Schulz und ursprünglich auch der dann allerdings im August über Ungarn nach Westdeutschland geflohene Stefan Hilchenbach sowie Aktivisten des Wernigeröder "Friedenskreises", wie Ludwig Hoffmann, in der "Kontaktlinse", dem "Diensthaus" des Jugendpfarrers Karl-Heinz Nickschick, einen Ableger der Berliner "Umweltbibliothek" gründen. Das "Kulturprogramm" soll der Wernigeröder Liedermacher Ralf Mattern, dessen Band "Flexibel" mit einem Auftrittsverbot belegt ist, gestalten.
    Durch die damalige Dynamik der gesellschaftlichen Krise in der DDR steht jetzt jedoch die Gründung des "Neuen Forum" an. Etwa eineinhalb Dutzend Leute versammeln sich im Oberpfarrkirchhof 6. Der Aufruf wird von 16 der Anwesenden unterzeichnet, wie sich Pfarrer Peter Lehmann erinnert.

Bild aus dem Jahr 1963
- Stadtarchiv Wernigerode
Bild aus dem Jahr 1963 - Stadtarchiv Wernigerode
  • In Neustadt/Weinstraße empfängt Bundeskanzler Helmut Kohl gemeinsam mit Oberbürgermeister Dieter Ohnesorge am 26. Februar eine Delegation der Stadt Wernigerode unter Leitung der Ersten Stellvertreterin des Bürgermeisters Rita Ahrens zur Vorbereitung einer weiteren deutsch-deutschen Städtepartnerschaft.

Helmut Kohl empfängt die Delegation aus Wernigerode in Neustadt/Weinstraße zur Vorbereitung der Städtepartnerschaft.
- Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
Helmut Kohl empfängt die Delegation aus Wernigerode in Neustadt/Weinstraße zur Vorbereitung der Städtepartnerschaft. - Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
Die Häuser links fallen der Erweiterung des "Gothischen Hauses" zum Opfer
- Dieter Oemler
Die Häuser links fallen der Erweiterung des "Gothischen Hauses" zum Opfer - Dieter Oemler
  • Das Hotel "Gothisches Haus" soll zu einem modernen Vier - Sterne - Hotel für ausländische Gäste ("Devisenhotel") umgebaut werden. Die Absicht führt zu starken Protesten unter der Bevölkerung (für DDR - Bürger ohne "Westgeld" wäre das Hotel "tabu") und wird im Herbst aufgegeben.

    Beim Umbau werden die angrenzenden Gebäude einbezogen, was schwere Eingriffe in die historische Bausubstanz mit sich bringt. Nur das eigentliche Hotelgebäude bleibt erhalten, die angrenzenden Häuser werden mit abgerissen und mit vorgeblendetem Fachwerk völlig neu errichtet.

Umbau des Hotels "Gothisches Haus" zu einem Interhotel.
- Dieter Oemler
Umbau des Hotels "Gothisches Haus" zu einem Interhotel. - Dieter Oemler
  • Am 31. März richtet Bürgermeister Martin Kilian ein Schreiben an den Oberbürgermeister von Neustadt an der Weinstraße mit Übersendung eines Textentwurfs zur "Vereinbarung über die Städtepartnerschaft zwischen der Stadt Wernigerode in der Deutschen Demokratischen Republik und der Stadt Neustadt an der Weinstraße in der Bundesrepublik Deutschland".

Eine der ersten Städte-Partnerschaften DDR-BRD
- Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
Eine der ersten Städte-Partnerschaften DDR-BRD - Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
  • Am 7. Mai finden in der DDR, so auch im Kreis und in der Stadt Wernigerode Kommunalwahlen statt. Zur Wahl steht ein "gemeinsamer Vorschlag" der "Nationalen Front". Die Wahlbeteiligung im Kreis Wernigerode liegt bei 99,22%. Für den "gemeinsamen Vorschlag" stimmen 99,98 % der Wernigeröder. Die beiden Tageszeitungen "Volksstimme" und "LDZ" bezeichnen das Wahlergebnis als "Votum für die Politik des Friedens und des Sozialismus im 40. Jahr des Bestehens der DDR".

    Die Bürger konnten bei persönlichen Gründen schon einige Wochen vor der Wahl im "Sonderwahllokal" im Rathaus ihre Stimme abgeben. Bei dieser Wahl waren es über 40% der Wähler.

    In einer "Parteiaktivtagung" mit SED-Parteisekretären verlangt der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, künftig dafür zu sorgen, dass "der eigentliche Wahltag" der gesellschaftliche Höhepunkt werden muss.

Bürgermeister Kilian (2. von links) beim Empfang einer Delegation aus Neustadt/Weinstraße
- Neustadt/Weinstraße
Bürgermeister Kilian (2. von links) beim Empfang einer Delegation aus Neustadt/Weinstraße - Neustadt/Weinstraße
Wohngebiet Harzblick 2015
© Wolfgang Grothe
Wohngebiet Harzblick 2015 © Wolfgang Grothe
  • Vom 23. bis 26. Juni empfängt der Bürgermeister von Wernigerode eine Ratsdelegation aus Neustadt an der Weinstraße unter Leitung des Oberbürgermeisters Dieter Ohnesorge.

    Die Partnerschaftsvereinbarung wird in Wernigerode paraphiert.

Empfang der Neustadter in Wernigerode 
- Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
Empfang der Neustadter in Wernigerode  - Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
  • Vom 9. bis 12. September hält sich unter Leitung des Bürgermeisters Martin Kilian eine Delegation aus Wernigerode in Neustadt an der Weinstraße zur Unterzeichnung der Partnerschaftsvereinbarung auf.

Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages mit Neustadt an der Weinstraße
- Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages mit Neustadt an der Weinstraße - Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
  • Am 25. September unterzeichnen in Wernigerode der Bürgermeister von Wernigerode, Martin Kilian, und der OB von Neustadt an der Weinstraße, Dieter Ohnesorge, den Städtepartnerschaftsvertrag noch vor der Wende.

Am 25. September unterzeichnen in Wernigerode der Bürgermeister von Wernigerode, Martin Kilian, und der OB von Neustadt/Weinstraße, Dieter Ohnesorge, den Partnerschaftsvertrag.
- Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
Am 25. September unterzeichnen in Wernigerode der Bürgermeister von Wernigerode, Martin Kilian, und der OB von Neustadt/Weinstraße, Dieter Ohnesorge, den Partnerschaftsvertrag. - Stadtverwaltung Neustadt an der Weinstraße
  • Am 7. und 8. Oktober kommt es zu "Zusammenrottungen" von Jugendlichen (Protokoll der Sicherheitskräfte). Es werden Losungen gerufen, wie: "Wir sind das Volk" oder "Wir sind nicht die Fans von Egon Krenz". Von den "Sicherheitskräften" wird mit Gummiknüppeln die Demonstration aufgelöst und Verletzte in Handschellen zum Krankenhaus gebracht.

  • Am Abend des 11. Oktober versammeln sich ca. 800 Personen vor dem Seniorenheim "Harzfriede", um das "Neue Forum" für die Stadt zu gründen. Da der Saal nicht ausreicht, ziehen die Teilnehmer in einer stillen Demonstration zur Johanniskirche. Obwohl das "Neue Forum" noch verboten ist, werden Arbeitsgruppen gebildet und ein vorläufiger Sprecherrat gegründet.

    Volksstimme - 11.10.2014 S. 13
  • Politische "Wende" auch in Wernigerode. Am 22. Oktober findet eine Sitzung des "Demokratischen Blocks" statt. Im Kommunique der Beratung heißt es: "Im Mittelpunkt dieser Beratungen standen aktuelle Fragen und Probleme in Auswertung der 9. Tagung des ZK der SED und der sich daraus ergebenden Aufgaben für den Kreis Wernigerode. In der anschließenden Tagung des Demokratischen Blocks begrüßten die Vorsitzenden und Kreissekretäre der befreundeten Parteien und Massenorganisationen die von der 9. ZK - Tagung gegebene klare Orientierung und hoben die Bereitschaft ihrer Mitglieder hervor, die von der Partei der Arbeiterklasse eingeleitete Wende zur attraktiveren Gestaltung des Sozialismus in der DDR verantwortungsvoll mit zu tragen. Alle Teilnehmer bekannten sich zur Weiterführung des offenen Dialogs über alle Fragen." "Der Demokratische Block wendet sich an alle Bürger, mit Besonnenheit und Verantwortungsbewußtsein die jetzt anstehenden Fragen zu klären und an politischen Lösungen mitzuwirken." "Am Dienstag fand in den Abendstunden in Wernigerode eine Demonstration von Bürgern zum Marktplatz statt. Sie verlief ruhig und ohne Ausschreitungen. Die Demonstranten ließen auf der rekonstruierten Rathaustreppe zahlreiche Kerzen abbrennen..." In einer "streng vertraulichen Information" des Ministeriums für Staatssicherheit ist von 800 Personen in Wernigerode die Rede, die an der Demonstration teil nahmen.

    Volksstimme - 26.10.1989
  • Die SED verzichtet auf ihren Führungsanspruch.

  • In Wernigerode bildet sich ein "Runder Tisch".

  • Schätzungsweise 5000 Wernigeröder beteiligen sich am 4. November an einer Demonstration, die als Reaktion auf die angekündigten Veranstaltungen in Berlin und Magdeburg spontan entstanden war. Der "Buschfunk" hatte gut funktioniert. Um 15 Uhr kommen auf dem Marktplatz und den angrenzenden Straßen die Demonstranten zusammen. Transparente, wie "Gleichheit, Demokratie, Freiheit", "Neues Forum zulassen", "Freie Wahlen" oder "Wir fordern Reisefreiheit" sind im Zug zu sehen. Nach anderthalb Stunden löst sich der Zug, der am Gebäude der SED-Kreisleitung, dem Rat des Kreises und der Kreisdienststelle der Staatssicherheit vorbeiführt, auf. Vor dem Gebäude der Kreisdienststelle der Staatssicherheit in der Goethestraße gibt es Sprechchöre: "Stasi in die Produktion!" Die Polizei tritt nicht in Erscheinung.

Demonstration vor der SED-Kreisleitung am 4. November 1989
- Horst Duwe
Demonstration vor der SED-Kreisleitung am 4. November 1989 - Horst Duwe
  • Am 9. November wird die Grenze zwischen der DDR und Bundesrepublik geöffnet.

Grenzübergang zwischen Stapelburg und Eckertal
- Horst Duve
Grenzübergang zwischen Stapelburg und Eckertal - Horst Duve
Am Heltauer Platz - Gebäude der Freimaurer-Loge
© Wolfgang Grothe
Am Heltauer Platz - Gebäude der Freimaurer-Loge © Wolfgang Grothe
  • Am 3. Dezember erzwingen friedliche Demonstranten die Öffnung des Brockens. Die diensthabenden Offiziere der Grenztruppen und des Staatssicherheitsdienstes haben keine Weisung ihrer übergeordneten Dienststellen und entscheiden eigenverantwortlich über die Öffnung. Die Einheit der Roten Armee (Funkeinheit der militärischen Aufklärung) hatte den Befehl, sich herauszuhalten.

Grenzbefestigung an der innerdeutschen Grenze im Oberharz
- Horst Duve
Grenzbefestigung an der innerdeutschen Grenze im Oberharz - Horst Duve
  • Der Brockengarten ist nach der "Zwangspause" seit 1961 wieder zugänglich und wird in den nächsten Jahren durch den Nationalpark Harz und den Universitäten Göttingen und Halle wieder aufgebaut.

Brockengarten im Spätherbst 2015
- Gunter Karste
Brockengarten im Spätherbst 2015 - Gunter Karste