Wernigerode im Jahr 1962
Nach der Einführung der Wehrpflicht am 24. Januar werden in den größeren volkseigenen Betrieben der Kreisstadt durch die BPO- Leitungen (Betriebsparteiorganisationen der Sozialistischen Einheitspartei) mit jungen Wehrpflichtigen Gespräche geführt, in deren Ergebnis Jugendliche ihre zustimmende Bereitschaft zur "Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften" bekunden.
Im "Kurort der Werktätigen" Schierke kommen im Februar auf die rund 1200 Einwohner annähernd auch so viele Urlauber. Voraussetzung für einen Urlaub im Grenzgebiet ist ein Passierschein, der im Zusammenhang mit einem Urlaubsscheck des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) vom jeweils zuständigen VPKA (Volkspolizeikreisamt) ausgestellt wird. Die Tageszeitung LDZ (Liberaldemokratische Zeitung) der Blockpartei LDPD (Liberaldemokratische Partei Deutschland) schreibt: "Die Einwohner gehen ihrer täglichen Arbeit nach, und wer auswärts arbeitet, fährt mit dem Bus bequem hin und zurück, mit Passierschein, das versteht sich wohl! Der Massenbesuch von Touristen und Tagesbesuchern ist in Anbetracht der militärischen Aufgaben an der Staatsgrenze abgestoppt worden, was verständlich ist...".
Martin Kilian löst am 24. Oktober Gustav Strahl als Bürgermeister ab, der aus "gesundheitlichen Gründen" ausscheiden muss.
Gustav Strahl war 12 Jahre im Amt. Da die Stadtverordnetenversammlung als Einheitsliste der Nationalen Front gewählt ist und die SED in dieser die führende Kraft ist, führt der 1. Sekretär der Kreisleitung der SED, Helmut Unger in Abstimmung mit dem Vorsitzenden des Rates des Kreises, der funktionsbedingt immer Mitglied des Sekretariats der SED-Kreisleitung ist, ein Kadergespräch mit Martin Kilian. Kilian folgt, später nach eigener Aussage, eher der Parteidisziplin, denn der eigenen Neigung. Die Wahl durch die Stadtverordneten ist Formsache und erfolgt wie immer einstimmig. Kilian wird bis 1990 dieses Amt bekleiden.
Auch nach der totalen Sicherung der "Staatsgrenze West" mit einem fünf Kilometer breiten Grenzstreifen, Passierscheinen für im Grenzgebiet liegende Gemeinden, wie Schierke, Elend, Stapelburg, Abbenrode und Sorge, Hundelaufeinrichtungen und Mienengürtel entwickelt sich Wernigerode als Industriestandort und Touristenzentrum für die Bürger der DDR mit jährlich steigenden Besucherzahlen.