Wernigerode im Jahr 1953
Der Tod Stalins am 5. März wird von der Kreisleitung der SED zum Anlass genommen, Trauermärsche zu Ehren des Verstorbenen zu initiieren. Über 15000 Einwohner der Stadt defilieren mit trauerumflorten Fahnen und Bildnissen von J.W. Stalin in einem kilometerlangen Trauermarsch an der Ehrentribüne auf dem Marktplatz vorbei.
Am Tag der Beisetzung in Moskau herrscht auch in Wernigerode zwischen 10:00 bis 14:00 Uhr eine von der Volkspolizei überwachte vollkommene Verkehrsstille und alle Geschäfte bleiben geschlossen.
Am späten Nachmittag des 17. Juni wird die Volkspolizei Wernigerode und die Kreisdienststelle des MfS durch die Kaderleitung des Elektromotorenwerks darüber informiert, dass Arbeiter verschiedener Abteilungen beabsichtigen, am nächsten Tag "einen Schweigemarsch in der Innenstadt mit Transparenten" mit den Aufschriften "HO-Preise senken - Weg mit der Regierung - Wir wollen Einheit" durchzuführen.
Auch in anderen Betrieben der Stadt gibt es am 18. Juni spontane Arbeitsniederlegungen und Versammlungen, wie im Treuhandbetrieb Papierfabrik. In einer gemeinsamen Resolution von Streikleitung, Werkleiter und SED - Parteisekretär wird "die Wiedervereinigung Deutschlands nach freier Wahl", der "Abzug der Besatzungstruppen" und die "Wiederherstellung normaler Verhältnisse" gefordert.
In einer Belegschaftsversammlung im Karl-Marx-Haus des Elektromotorenwerkes am 18. Juni sagt der Belegschaftssprecher unter Beifallsbekundungen: "Die Belegschaft des ELMO-Werkes erklärt sich solidarisch mit den Arbeitern Berlins und fordert Rechenschaft über die Schüsse und Opfer von Berlin und den anderen Städten. Wir fordern folgende Punkte: Erstens freie und geheime Wahlen in ganz Deutschland. Zweitens: Aufhebung der Zonengrenzen und Abschluss eines Friedensvertrages mit ganz Deutschland".
Der sowjetische Kreiskommandant verfügt die Verhängung des Ausnahmezustandes. "Zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und zum Schutze der Bevölkerung des Kreises sind ab 18. Juni 1953 alle Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen und Ansammlungen von mehr als drei Personen auf Plätzen, Straßen und in öffentlichen Gebäuden verboten. Jeglicher Verkehr von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens von Fußgängern und Kraftfahrzeugen ist verboten."
Während einer stürmischen Versammlung im Karl-Marx-Haus gehen vor dem Betrieb bewaffnete sowjetische Soldaten mit schwerem Gerät in Stellung.
Die Streikenden verzichten auf eine Demonstration in die Stadt und vermeiden damit vermutlich ein Blutvergießen.
Insgesamt beteiligen sich an den Streikaktionen in der Kreisstadt, in Ilsenburg und im Oberharz rund 7500 Menschen. Die Protestierenden unterliegen der Staatsmacht, die die Streikaktionen als "vom Westen angezettelten faschistischen Putsch" bezeichnet und den eingreifenden Soldaten der sowjetischen "Roten Armee".
Der bisherige private Arzneimittelbetrieb im Mühlental wird in Volkseigentum überführt (VEB Ysat Wernigerode).
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