Wernigerode im Jahr 1946

  • Im Januar erhält Charlotte von Bredersdorf aus Schierke die Betriebserlaubnis für die von der "Sowjetischen Militäradministration" (SMAD) beschlagnahmte "Storchmühle".

Storchmühle
- Fotothek Harzbücherei
Storchmühle - Fotothek Harzbücherei
  • Die evangelische Kirchenprovinz Sachsen übernimmt auf Bitte der letzten Äbtissin Magdalena das Kloster Drübeck als Erholungsheim und Tagungsstätte.

    wikipedia.org - Kloster Drübeck
  • Auf der Sitzung der Wernigeröder Stadtverordneten am 4. Mai wird bekannt gegeben, dass sich der Pächter des "Stadtgartens", die Eheleute Kindervater, per "Zusatzvertrag" verpflichtet haben, "auf ihre Kosten die Kegelsporthalle zu einem modernen Lichtspieltheater auszubauen".

    Dafür würde die Stadt bei der Erhebung der Pacht für den Stadtgarten den Kindervaters entgegenkommen. Möglicherweise kam es jedoch zu einem Zerwürfnis, denn noch 1946 beauftragt Stadtbaurat Willi Deistel den Architekten Wenner, die Kegelhalle zu einem Kino auszubauen.

  • Laut Befehl Nr.3 des Alliierten Kontrollrates werden auch in der Stadt Wernigerode alle sich im arbeitsfähigen Alter befindlichen Personen registriert. Bei Nichtbeachtung drohen Geldstrafen in Höhe von 1000 RM und Gefängnis bis zu einem Jahr.

"Hotel Lindenberg"
- Fotothek Harzbücherei Wernigerode
"Hotel Lindenberg" - Fotothek Harzbücherei Wernigerode
  • Mit Wirkung vom 7. Januar werden in Wernigerode viele Straßen umbenannt bzw. erhalten den alten Namen von vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zurück.

  • Am 8. Januar wird in Wernigeröder Schulen die Schulspeisung eingeführt.

  • Der in Köln geborene Landrat Erich von Stosch stirbt am 17. Januar. Er diente in einer ungewöhnlich langen Amtszeit vom Juli 1912 bis Juli 1944 in drei unterschiedlichen Regierungsformen, "dem Kaiserreich, der Weimarer Republik und der Aera Hitler".

Landrat Erich von Stosch
- Gerhard Bombös
Landrat Erich von Stosch - Gerhard Bombös
  • Der Bürgermeister von Wernigerode gibt am 23. Januar bekannt, dass der Zivilbevölkerung das Tragen und Aufbewahren von Waffen verboten ist. Wer noch Waffen besitzt, hat diese bis spätestens 5. Februar bei der Polizeibehörde am Markt abzugeben. Wer danach noch im Besitz von Waffen ist, muss mit strengster Bestrafung bis einschließlich der Todesstrafe rechnen. Auch das Tragen von Uniformen der früheren deutschen Wehrmacht ist verboten. Die Besitzer solcher Uniformen werden aufgefordert, diese umzufärben. Verstöße werden durch die Polizei mit einer Geldstrafe geahndet.

  • Alle über 15 Jahre alten Einwohner von Wernigerode müssen im Besitz eines Personalausweises in russischer Sprache sein. Die Ausstellung der Ausweise wird am 28. Februar abgeschlossen.

  • Am 10. März vereinigen sich SPD und KPD zur SED für die Stadt und den Landkreis im Saal- und Gaststättenbetrieb "Monopol". Die SPD war in Wernigerode vor der Machtergreifung der Faschisten an Mitgliedern und politischem Einfluss stärker als die KPD. Mit Max Otto stellte die SPD nach 1945 den Bürgermeister. Bei der Vereinigung wurde stets auf eine paritätische Zusammensetzung der Parteileitungen geachtet. Später wurde von diesem Prinzip abgerückt und die SED in eine "Partei neuen Typus", das heißt, in eine nach stalinistischen Prinzipien organisierte "marxistisch-leninistische Kaderpartei" umgewandelt.

Gedenktafel zur Vereinigung von KPD und SPD zur SED
- Dieter Oemler
Gedenktafel zur Vereinigung von KPD und SPD zur SED - Dieter Oemler
  • Der "Kulturbund" und der "Freie Deutsche Gewerkschaftsbund" organisieren gemeinsam eine Kulturwoche in der Stadt vom 24. bis 31. März.

  • Die "Polizeistunde" für Gast-, Schank- und Vergnügungsstätten wird am 8. April neu festgelegt:
    Mo-Fr. 23 bis 6 Uhr und Sa/So und Feiertags 24 bis 6 Uhr.

Festsaal des Schlosses
- Stadtarchiv Wernigerode
Festsaal des Schlosses - Stadtarchiv Wernigerode
  • Im Frühjahr ist das Hotel "Weißer Hirsch" wieder im Besitz der Familie Brasche, nachdem es ab dem 11. April 1945 erst von den Amerikanern, dann den Engländern und schließlich von den Russen genutzt wurde.

Hotel "Weißer Hirsch" 1936
- Fotothek Harzbücherei
Hotel "Weißer Hirsch" 1936 - Fotothek Harzbücherei
  • Im Kampf gegen Seuchen (Geschlechtskrankheiten, Fleckfieber, Typhus) werden in der Stadt und dem Kreis Wernigerode konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht.

  • Aus der ehemals fürstlichen Bibliothek wird am 19. April ein großer Teil der Bestände, vornehmlich Drucke, in die UdSSR abtransportiert.

  • Die Volksbank Wernigerode betreibt ihre Geschäfte in der Breiten Straße 9 mit leicht veränderter Firmierung als Bank für Handwerk und Gewerbe.

  • Im April gründen in Wernigerode Antifa-Umsiedler aus dem Sudetenland eine Produktivgenossenschaft der Holzhandwerker mit Unterstützung des Landrates und des Bürgermeisters. Einheimische SED-Mitglieder verfolgen die Bemühungen mit Misstrauen und verhindern im Mai die Bildung einer weiteren Genossenschaft der Bauarbeiter und Bauhandwerker.

  • Der Landrat Reichardt ordnet laut Befehl des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung, Marschall der Sowjetunion G. Shukow, eine Einschränkung des Stromverbrauchs an (für Beleuchtungszwecke 500 Wh täglich plus 50 Wh für jeden gemeldeten Haushaltsangehörigen).

Maidemonstration 1946 auf dem Marktplatz
- Dieter Oemler
Maidemonstration 1946 auf dem Marktplatz - Dieter Oemler
  • Nach einer Statistik vom 4. Mai standen bei der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED im Kreis Wernigerode 2528 ehemalige SPD - Mitglieder lediglich 555 ehemalige KPD - Mitglieder gegenüber.

  • Am 15. Mai wird das Hotel "Heinrich Heine" in Schierke, früher Hotel "Fürst zu Stolberg", wieder eröffnet.

  • Künstler schließen sich in Wernigerode zu einer losen Künstlerverbindung, später bekannt als "Wernigeröder Künstlerkolonie" (bis 1950), zusammen. Neben Landschaftsmaler Pramme, Heller und anderen, gehört auch der Leiter des städtischen Kulturamtes, Eberhard Karnatzki, dazu.
    Karnatzki tritt noch vor der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien der SPD bei und gehört nach der Vereinigung einer kleinen, illegal arbeitenden Gruppe Sozialdemokraten an, die Kontakt zum Ostbüro der SPD in Hannover unterhält.

Gemälde "Blick auf Wernigerode" von Wilhelm Pramme

 
- Harzmuseum
Gemälde "Blick auf Wernigerode" von Wilhelm Pramme   - Harzmuseum
  • Am 11. Juli werden durch das Wohnungsamt von Wernigerode Maßnahmen zur besseren Nutzung von Wohnraum angeordnet. "Ältere Alleinstehende, auch Ehepaare, können bei Aufgabe ihrer Wohnung in gut geleiteten Altersheimen Aufnahme finden".

Bekanntmachung des Bürgermeisters
- Stadtarchiv Wernigerode
Bekanntmachung des Bürgermeisters - Stadtarchiv Wernigerode
  • Am 30. Juli gibt Bürgermeister Otto bekannt, dass die Stadt weitere Umsiedler und entlassene Kriegsgefangene aufnehmen muss und dazu Wohnraum notwendig ist. Einschränkungen und Härten sind dabei nicht zu vermeiden. Der Bürgermeister appelliert an die "verständnisvolle Mitwirkung der Bevölkerung".

Bekanntmachung des Bürgermeisters
- Stadtarchiv Wernigerode
Bekanntmachung des Bürgermeisters - Stadtarchiv Wernigerode
  • In einer Bekanntmachung vom 12. August informiert der Bürgermeister, dass "alle alten und gebrechlichen Personen, die in die englische Zone übersiedeln wollen", sich im Städtischen Wohlfahrtsamt Klint 10, Zimmer 4 melden können.

  • Walter Ulbricht spricht in einer Wahlveranstaltung im "Hotel Monopol".

  • Der Magistrat der Stadt unter dem Bürgermeister Max Otto steht vor einer großen Aufgabe. Beim Wiederaufbau nach den Zerstörungen durch den Krieg geht es vor allem darum, das Allernötigste, also Essen, Trinken, Kleidung, Unterkunft, Gesundheitsfürsorge für die durch Flüchtlinge bis zu etwa 50 000 Einwohner gewachsene Stadt zu beschaffen, und das vor dem Hintergrund zerstörter und/oder demontierter Betriebe. Große Probleme bereiten auch einige der befreiten Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge, die sich für erlittenes Unrecht durch Plünderungen und andere Übergriffe rächen.

  • Zu den Reparationsleistungen für die Sowjetunion gehören auch 27 250 fm Nutz- und Brennholz. Diese Menge entspricht in etwa der jährlichen Einschlagsmenge des Wernigeröder Stadtforstes. Das bereitet der Stadt extreme Probleme, da Holz das einzige Brennmaterial bis 1949 ist.

  • Alle Tuberkulosekranken werden am 26. August vom Amtsarzt Dr. Rasch aufgefordert, sich umgehend im Städtischen Wirtschaftsamt wegen einer neuen Sonderzuteilung an Lebensmitteln zu informieren.

  • Am 24. Juli findet im Stadtgarten die erste Sitzung der beratenden Versammlung statt. Die Beratung ist öffentlich, die Bevölkerung hat Zutritt.

  • Der Bürgermeister von Wernigerode gibt bekannt, dass am Montag, den 2. September um 7:30 Uhr der Schulunterricht beginnt. Am Vortage, den 1. September finden an allen Schulen ab 11:30 Uhr Schulfeiern statt, die "dem ersten Schuljahr der demokratischen Einheitsschule" gewidmet werden. Die Eltern und Schüler werden dazu eingeladen.

  • Die Wahlen zur "Gemeindevertretung" Wernigerode (später wieder Stadtverordnetenversammlung) am 8. September ergibt bei einer Wahlbeteiligung von 92,9% für die SED 19 Mandate, für die LDP 13 Mandate und für die CDU 8 Mandate.

    Wahlergebnisse: SED 45,86% LDPD 31,99% CDU 21,02%

    Max Otto (jetzt SED) wird als Bürgermeister bestätigt.

    Dies ist auch die letzte Wahl bis 1990, in der die WernigeröderInnen sich zwischen verschiedenen Parteien entscheiden können. In den folgenden Jahrzehnten gibt es Einheitslisten der Nationalen Front. Diese Einheitslisten werden unter der Führung der SED vom "Demokratischen Block" erstellt.

    Unter dem Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht wird sehr konsequent die politisch bestimmte, d.h. von der Kreisleitung der SED dominierte Personalpolitik in der Stadtverwaltung vorangetrieben.

Max Otto
- Mahn-und Gedenkstätte Archiv
Max Otto - Mahn-und Gedenkstätte Archiv
  • Am 18. September fordert der Bürgermeister die Wernigeröder auf, Vermögensobjekte, die seit 1939 durch deutsche Dienststellen, Militärbehörden und Privatpersonen aus von Deutschland überfallenen Ländern in das Deutsche Reich gebracht worden sind, der Wirtschaftstelle im Rathaus zu melden. Diese Vemögensobjekte unterliegen der Rückgabe, die Nichtbeachtung der Aufforderung wird gerichtlich geahndet.

Bekanntmachung
- Stadtarchiv Wernigerode
Bekanntmachung - Stadtarchiv Wernigerode
  • Am 23. September spricht im Hotel "Monopol" Herr Major Rudnik von der "Roten Armee" über die "Sowjetische Demokratie". Auf Plakaten hatte der Bürgermeister "die Einwohnerschaft zu dieser Veranstaltung" eingeladen.

  • Am 22. September wird das Heimatmuseum nach Überprüfung und Neueinrichtung in den bisherigen Räumen, Vorwerk 4, wiedereröffnet.

  • Am 9. Oktober kommen in Wernigerode 60 Heimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft an, die zu einem mehrwöchigen Erholungsheim im "Küsters Kamp" untergebracht werden. Bürgermeister Otto ruft die Einwohner der Stadt auf, Männerkleidung zu spenden.

Aufruf des Bürgermeisters
- Stadtarchiv Wernigerode
Aufruf des Bürgermeisters - Stadtarchiv Wernigerode
  • Am 1. Oktober geht die ehemalige "Argenta-Schokoladenfabrik AG" mit 53 Arbeitern und Angestellten in das Eigentum der Provinz Sachsen über und ist damit unter dem Namen "VEB Argenta" eine der ersten Volkseigenen Betriebe in Wernigerode.

ehemaliger "VEB Argenta" 2016
© Wolfgang Grothe
ehemaliger "VEB Argenta" 2016 © Wolfgang Grothe
  • Auf Befehl "des Herrn Kreiskommandanten" ordnet der Bürgermeister am 17. Oktober die "Ausmerzung der Naziliteratur" an. Aus allen öffentlichen Bibliotheken und Büchereien von Privatpersonen sind die in den Übersichten genannten Bücher, Filme und Zeitschriften zu entfernen und bis 23. Oktober im Logenhaus Bahnhofstraße (früher "Haus der deutschen Frau") abzuliefern.

Befehl 134 des sowjetischen Militärkommandanten von Wernigerode
- Stadtarchiv Wernigerode WR III 6/2
Befehl 134 des sowjetischen Militärkommandanten von Wernigerode - Stadtarchiv Wernigerode WR III 6/2
  • In Wernigerode findet am 29. Oktober eine Volks- und Berufszählung statt. Grundlage ist eine Anordnung des Alliierten Kontrollrates für alle Besatzungszonen Deutschlands.

    Stadtarchiv Wernigerode - Gesetz Nr. 33 des Alliierten Kontrollrates vom 20.07.1946
  • Am 7. November erhält die 1848 gegründete "Liedertafel 1848" von der sowjetischen Besatzungsmacht die Erlaubnis zur Neugründung unter dem Namen "Stadtchor Liedertafel 1848".

  • Das erst am 15. Mai wiedereröffnete Hotel "Heinrich Heine" in Schierke wird am 10. November nach Beschlagnahme durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) wieder geschlossen. Es soll in eine Lungenheilstätte für Angehörige der Besatzungsmacht umgewandelt werden.

  • Wegen der Widerstände bei der Aufnahme zugewiesener Flüchtlinge warnt Landrat Reichard am 11. November alle Wohnungsbesitzer, sich dieser Maßnahme nicht weiter zu verschließen. Viele Hauseigentümer hatten sich geweigert, Flüchtlinge aufzunehmen. "Auf Grund der Kontrollgesetze kann der Haus- bzw. Wohnungsbesitzer sofort aus seinem Besitz herausgesetzt und der Flüchtling eingesetzt werden. Auch die Enteignung der Hausbesitzer ist möglich."

Aufruf des Bürgermeisters
- Stadtarchiv Wernigerode
Aufruf des Bürgermeisters - Stadtarchiv Wernigerode
  • Die Kreiskommandantur der Roten Armee lässt am 20. Dezember vom Schloss alle Ritterrüstungen und Gemälde, auf denen Uniformen und Orden zu sehen sind, vernichten.

Aufgang zum Schloss
- Stadtarchiv Wernigerode
Aufgang zum Schloss - Stadtarchiv Wernigerode
  • Der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) und die FDJ (Freie Deutsche Jugend) werden auch in Wernigerode gegründet und werden in den Antifa-Volksblock aufgenommen.

Kundgebung 1946
- Archiv Mahn- und Gedenkstätte
Kundgebung 1946 - Archiv Mahn- und Gedenkstätte
  • Die 1926 gebaute Kegelhalle neben dem Stadtgarten wird als Ersatz für das durch Bomben zerstörte Kino in der Burgstraße umgebaut.

Kino neben dem Stadtgarten 
- Dieter Oemler
Kino neben dem Stadtgarten  - Dieter Oemler
  • Am 19. November fasst die Stadtverordnetenversammlung den Beschluss, Otto Büchting, einem liberalen Politiker, das Prädikat "Stadtältester" für seine Verdienste beim Aufbau einer neuen Verwaltungsstruktur nach dem Zweiten Weltkrieg zu verleihen.

  • Die Gebäude des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers am Veckenstedter Weg werden als Sammel- und Quarantänelager und später als Alten- und Pflegeheim genutzt.

Gebäude des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers am Veckenstedter Weg
- Mahn-und Gedenkstätte Archiv
Gebäude des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers am Veckenstedter Weg - Mahn-und Gedenkstätte Archiv