Wernigerode im Jahr 1934

  • Der Unternehmer Rudolf Rautenbach aus dem Bergischen Land gründet in Wernigerode eine Leichtmetallfirma.

  • Am 2. Januar findet im "Hotel Monopol" eine Sitzung der "Betriebsobleute" (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation - NSBO) aus den Wernigeröder Groß- und Kleinbetrieben unter dem Motto "Die Volksgemeinschaft marschiert" statt. Bis auf wenige Ausnahmen nehmen alle "Obleute" daran teil.

    "Pg. Geye" referiert über das Thema "Richtet nicht wieder Mauern auf zwischen Unternehmer und Mitarbeiterschaft".

    (Mitglieder der NSDAP werden "Pg." - Parteigenosse - genannt.)

  • Der "Führer des Winterhilfswerkes" des Kreises Wernigerode ruft am 7. Januar die "Volksgenossen" (NS-Sprachgebrauch für alle Einwohner/Bürger) dazu auf, nach der Weihnachtspause wieder die festgelegten Sonntage für das "Eintopfgericht" zu berücksichtigen.
    Die NS-Blockwarte sammeln an dem Tag in Sammelbüchsen das durch das Eintopfessen eingesparte Geld und kontrollieren oft gleichzeitig in diesem Zusammenhang die Einhaltung dieses Gebots.
    Das Eintopfessen ist eine vom "Führer und Reichskanzler" Adolf Hitler angeordnete Weisung, um bestehende Probleme bei der Versorgung mit Lebensmitteln zu beseitigen.

Werbung für das Winterhilfswerk
- repro Wolfgang Grothe
Werbung für das Winterhilfswerk - repro Wolfgang Grothe
  • Auf der Grundlage des im September 1933 beschlossenen "Reichserbhofgesetzes", die in Gesetzesform gegossene nationalsozialistische Blut-und-Boden-Ideologie, wird in der Stadt am 13. Januar das "Anerbengericht Wernigerode" eröffnet und Amtsgerichtsrat Grosse als Vorsitzender berufen.
    In der feierlichen Eröffnung wird besonders die "Verbindung von Blut und Boden" hervorgehoben, die "wieder zum Staatsfundament erhoben" wurde und der angestrebten "Verbäuerlichung der Gesellschaft eines Volkes ohne Raum" dienen soll. Des öfteren wird in der Eröffnungsrede betont, dass das perspektivische Ziel der nationalsozialistischen Siedlungspolitik die Besiedlung osteuropäischer Gebiete ist.

Symbol des "Reichsnährstandes"
- gemeinfrei
Symbol des "Reichsnährstandes" - gemeinfrei
  • Am 16. Januar findet im Nöschenröder Schützenhaus die Jahreshauptversammlung des Harzklubs statt.
    Der erste Vorsitzende, Postdirektor i.R. Wendel, begrüßt die Anwesenden und überreicht an drei Mitglieder das Harzklub-Abzeichen für 25 jährige Mitgliedschaft.
    Der Harzklub wird in Zukunft nach dem Führerprinzip organisiert sein. Die Mitgliederversammlung hat einen Führer zu wählen und einen Beirat vorzuschlagen, der vom Führer ernannt werden muss.

  • Die "Wernigeröder Zeitung und Intelligenzblatt" wirft am 22. Januar die Frage auf: "Was kosten die Minderwertigen?" und beantwortet sie im Beitrag selbst.

    "Für Geisteskranke, Idioten und Schwachsinnige müssen die gesunden Volksgenossen die Kosten aufbringen... Der Staat gibt für einen Geisteskranken etwa 1000 Reichsmark jährlich aus."

    Und die Schlussfolgerung der Zeitung lautet: "Aber ganz abgesehen von wirtschaftlichen Erwägungen, entspricht es wahrhaft sozialem Verständnis und echt christlicher Nächstenliebe, solch minderwertiges, nur zu Jammer, Elend, Leid und Not bestimmtes Leben zu verhindern."

    Die Leser werden "als verantwortungsbewusste Deutsche" aufgefordert, der "Anzeigepflicht für Erbkranke" nachzukommen.

  • Der 30. Januar steht in Wernigerode, wie die gleichgeschalteten lokalen Tageszeitungen euphorisch berichten, ganz im Zeichen des ersten Jahrestages der "nationalen Erhebung". Nicht nur auf amtlichen, sondern auch auf fast allen privaten Gebäuden "weht die Fahne der siegreichen nationalen Revolution lustig im Wind", die Hakenkreuzfahne der Nationalsozialisten.

    Die "SA-Formationen und die HJ" versammeln sich "abends nach einem Ummarsch" durch die Stadt und auf dem Marktplatz, wo Standartenführer Blumenstein "in kernigen Worten die Leistungen Adolf Hitlers im vergangenen Jahr" kennzeichnet und "dem Führer mit einem eindrucksvollen SIEG HEIL dankt".

    Zur gleichen Zeit findet in der überfüllten "Sylvestri - Kirche" ein "erhebender nationaler Festgottesdienst" statt, bei dem Superintendent D. Falke die Festpredigt hält.

Am Klint mit Sylvestrikirche
- Stadtarchiv Wernigerode
Am Klint mit Sylvestrikirche - Stadtarchiv Wernigerode
  • Am 19. Februar trifft auf dem mit Fahnen festlich geschmückten Wernigeröder Reichsbahnhof der erste Urlauber-Sonderzug mit 250 Feriengästen der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" zu einem zehntägigen Aufenthalt ein.
    Zahlreiche Wernigeröder, darunter der Erste Bürgermeister, von Fresenius, entbieten den 250 Gästen aus Hamburg, unterstützt durch eine Blaskapelle, ein freundliches Willkommen.
    Bereitstehende Busse bringen die Feriengäste in die Quartiere nach Sorge, Tanne, Benneckenstein, Hohegeiß und Zorge.

  • Am 1. März wird der "Vertrag zwischen Erbprinz Botho und Preußischem Staat, Landesforstverwaltung, über den Verkauf eines Teiles des fürstlichen Nordharz- und Südharzforstes" unterschrieben. Verkauft werden im Nordharz (Kreis Wernigerode) 7928 Hektar zum Preis von 10 021 000 Mark.

vorne links, Fürst Botho zu Stolberg-Wernigerode 1957
- Gerhard Bombös
vorne links, Fürst Botho zu Stolberg-Wernigerode 1957 - Gerhard Bombös
  • Am 24. April wird die "Storchmühle" an die Magdeburger Firma "HOZO - Hohenzollern,Wirtschaftsbetriebe und Weingroßhandlung" verkauft. Inhaber ist Rudolf Kindermann. Das Nöschenröder Kurhaus "Storchmühle" wird ausgebaut und der Saal im Stil der Neo-Renaissance eingerichtet.

"Storchmühle" 1938
- Stadtarchiv Wernigerode PK/VI/279
"Storchmühle" 1938 - Stadtarchiv Wernigerode PK/VI/279
  • Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 ist für den Kreisarzt Medizinalrat Dr. Jancke seit 1934 die gesetzliche Grundlage, nach Hinweisen aus der Wernigeröder Ärzteschaft für viele Frauen, aber auch einzelnen Männern aus dem Kreisgebiet beim "Erbgesundheitsgericht Halberstadt" den Antrag auf "Unfruchtbarmachung" zu stellen. Im Kreis Wernigerode regt sich auch Widerstand gegen die überdurchschnittlich hohe Anzahl der Anträge. In einem geheimen Schreiben wendet sich der Landrat an die Ortspolizeibehörden und fordert diese auf, gegen das "Sabotieren des Gesetzes und die Propaganda mit aller Härte" vorzugehen.

    Ein Ortsbürgermeister soll geäußert haben, dass die Leute nach seinem Dafürhalten nicht erbkrank sind. Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren gegen den Bürgermeister ein.

    Stadtarchiv Wernigerode - Geheime Tagebuchnummer der Wernigeröder Polizeibehörde 1299
  • In Wernigerode findet die Gruppe der evangelischen Christen, die sich zur "Bekennenden Kirche" (BK) bekennen, Asyl bei der "Selbstständigen Evangelisch Lutherischen Gemeinde" (SELK), die in der Kreuzkirche beheimatet ist.

    Der erste Bekenntnisgottesdienst in Wernigerode findet am 7. Oktober statt, zu dem man allerdings nur mit Einladungskarten Zutritt hat.

  • Das "Erbgesundheitsgericht Halberstadt" unter dem Vorsitz von Amtsgerichtsrat Greim behandelt in seiner Sitzung am 13. Oktober Anträge des Kreisarztes von Wernigerode, zwei Frauen aus der Stadt Wernigerode auf der Grundlage des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" unfruchtbar zu machen.

    "Auf Grund des bei den Akten befindlichen ausführlichen fachärztlichen Gutachtens, dem sich das Erbgesundheitsgericht nach eingehender Prüfung angeschlossen hat, ist für festgestellt erachtet, daß vorliegendenfalls die Vorausetzungen des §1 Absatz 1 und 2 Ziffer 1 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933 gegeben sind."

    Die Entscheidung des Gerichts ist rechtskräftig, Einsprüche sind nicht möglich.

  • Durch verschiedene Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (Verlegung von Trinkwasserleitungen, Straßen- und Wegebau, Schaffung von Wohnraum) gibt es in Wernigerode am Jahresende nur noch 900 Arbeitslose.

  • Am 31. Dezember hat Wernigerode 24 480 Einwohner, ein Zuwachs von 83 Personen in den letzten zwölf Monaten. Im gesamten Jahr fanden 218 Paare den Weg zum Standesamt. Die jüngste Braut war 16 3/4, die älteste 52 Jahre, der jüngste Bräutigam war 20 und der älteste 62 Jahre.

    Im gesamten Jahr wurden 293 Kinder geboren, davon 52 unehelich.